Ich habe vor 2 Jahren eine Vasektomie machen lassen, kann sie nicht empfehlen und möchte in die Diskussion hier ein paar Punkte einbringen, die bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle spielen.
Kurzer Background:
<ul>
<li>Bewusst nicht so viele Erfahrungsberichte gelesen, weil es einen Negativ-Bias gibt, also tendenziell mehr Leute schreiben, die schlechte Erfahrungen machen als Leute mit positiven Erfahrungen. Diesen Artikel hier habe ich als Positivbeispiel genommen.</li>
<li>Vasektomie im April 2019 ambulant machen lassen mit leichter Betäubung (Propofol).</li>
<li>Eingriff war harmlos, sitzen danach aber einige Tage schmerzhaft, Kinder auf dem Schoß hat 2–3 Wochen lang gezogen.</li>
<li>Radfahren mehrere Wochen lang nicht möglich.</li>
<li>Ejakulat und Orgasmusgefühl weitgehend unverändert.</li>
<li>Es blieb nach Heilung aber ein Druckgefühl am rechten Samenleiter, ein verhärteter Knoten, vermutlich ein Spermagranulom, was häufiger ist als ich zunächst dachte. Das ging auch nicht weg. Die Stelle war druckempfindlich bei Berührung, aber auch manchmal "im Alltag" schmerzhaft, wenn die Hoden halt irgendwie anders baumelten.</li>
<li>Im Juni 2020 eine Refertilisierung gemacht, weil das Thema drittes Kind seitens meiner Frau im Raum stand (anderes Thema)</li>
<li>Probleme im rechten Samenleiter sind durch die Refertilisierung verschwunden, dafür seitdem leichte Schmerzen und Druckgefühl im linken Samenleiter in der Leistengegend.</li>
<li>Die Probleme sind bei weitem nicht so gravierend wie manche hier berichten, aber ein kontinuierliches Druckgefühl schlägt auch auf die Stimmung und ich habe das Gefühl, dass gerade solche "Wehwehchen" ziemlich vernachlässigt werden.</li>
</ul>
Nachdem ich mehr zum Thema Vasektomie recherchiert habe, ist mir folgendes aufgefallen:
<ul>
<li>Chronische Komplikationen sind abhängig vom Operateur, von der verwendeten Technik und vermutlich Glückssache.</li>
<li>Es gibt keine systematische Erfassung von Beschwerden. Der Urologe, bei dem ich die Vasektomie machen lassen habe, weiß bis heute nicht, dass ich Probleme hatte.</li>
<li>Studien zu Langzeitproblemen sind selten und werden per Fragebogen nachträglich erhoben.</li>
<li>Es ist völlig absurd, Probleme als "rein psychisch" abzutun. Der Samenleiter ist nicht nur ein dummer einfacher Schlauch. Bei der Vasektomie werden Nervenbahnen und Muskeln durchtrennt. Dass dabei was schief gehen kann, liegt auf der Hand.</li>
<li>Es gibt eine relativ hohe Schwankungsbreite bei den berichteten Zahlen zu Langzeitkomplikationen. Wie kann das sein? Warum wird sowas nicht genauer untersucht?</li>
</ul>
Wenn man annimmt, dass nur 1 von 100 Männern von langfristigen Problemen betroffen ist, gibt es ein extrem starkes Argument <strong>gegen</strong> eine Vasektomie:
Der Gewinn ist, dass man sich keine Gedanken mehr um Verhütung machen muss, somit möglicherweise etwas entspannter beim Sex ist und nahezu kein Risiko einer ungewollten Schwangerschaft mehr besteht. Aus meiner Sicht ist der Gewinn an Lebensqualität zwar vorhanden, aber relativ überschaubar.
Der Verlust ist, dass man als einer der wenigen Männer von Komplikationen betroffen sind, die die Lebensqualität massiv negativ beeinflussen.
Unterm Strich bietet die Vasektomie einen begrenzten Gewinn bei potenziell katastrophalem Verlust an Lebensqualität.
Klar, ich fahre auch Auto oder Fahrrad und ein Unfall bedeutet ebenfalls katastrophaler Verlust an Lebensqualität, allerdings sind Auto- und Radfahren für einige eine Notwendigkeit und für viele ein deutlich höherer Gewinn an Lebensqualität.
Ich denke, das einzig valide Argument <strong>für</strong> eine Vasektomie ist, dass man andernfalls praktisch keinen Sex haben kann und der Gewinn an Lebensqualität die potenziellen Risiken überwiegt.
↧